100 Jahre Frauen, Frieden, Freiheit

Da die deutschen Frauen nicht nach Paris einreisen durften, wo unsere Gründerinnen Einfluss auf die Verhandlungen nehmen wollten, verlegten sie den geplanten Friedenskongress in die Schweiz und schickten von dort eine gewählte Delegation nach Versailles.
Vom 12. bis 19. Mai 1919 trafen etwa 150 Frauen aus 21 Ländern in Zürich ein. Sie waren sich in der Verurteilung des 1. Weltkriegs einig und gewillt, sich zu versöhnen. Sie forderten eine umfassende allgemeine Abrüstung sowie ein Rüstungsproduktionsverbot, Völker- und Menschenrechte auch für Minderheiten und vor allem die volle Gleichstellung der Frauen. Sie suchten nach gewaltfreien Konfliktlösungen und wollten soziale Gerechtigkeit und einen Völkerbund gleichberechtigter Staaten: Frieden UND Freiheit, so wurde das Komitee für immerwährenden Frieden umbenannt in Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit. Zudem entstand aus den Begegnungen ganz praktische Unterstützung für die unter den Kriegsfolgen und Hunger leidenden Frauen, wie z. B. Spenden für Lebensmittel von Emiily Hobhouse ans deutsche IFFF-Büro.
Hundert Jahre später, am 11. Mai 2019, waren über 170 Teilnehmer*innen aus 22 Ländern angereist, um dieses Ereignis zu würdigen. WILPF Schweiz, der Schweizerische Friedensrat und die Frauen für Frieden Schweiz war es gelungen, die Veranstaltung wieder im Glockenhof- Hotel in ähnlichem Ambiente wie damals zu organisieren. Joy Ada Onyesoh, unsere internationale Präsidentin, knüpfte in ihrer Eröffnungsrede nahtlos an den Pazifismus von 1919 an: „Wir sind uns einig im Kampf und im alltäglichen Streit um die Frauenrechte und feministischen Frieden. Wir sollten den Menschen nicht erlauben, zwischen uns Trennwände zu errichten und Klischees aufzubauen. Wir müssen fortfahren, die Sprache und Botschaft des Friedens zu verkünden. Gewaltfreiheit war immer unser Werkzeug und das darf sich nicht ändern. Gewalt kann Gewalt nicht besiegen“. Bewaffnete Konflikte müssten verhindert werden, denn nur so könne auch sexuelle Gewalt gestoppt werden. Da durch den Klimawandel die Zahl der Konflikte ansteigen werde, müssten sich die feministische Bewegung, die Klimabewegung und die feministische Friedensbewegung gegenseitig stärken und unterstützen.
Für den von Charlotte Bill (Clapham Film Unit) geplanten Dokumentarfilm spielten wir in historischen Kostümen nach dem von Heidi Meinzolt zusammengestellten Script den Kongress 1919 im Zeitraffer nach. Es war bewegend, den breiten Bogen der damaligen Diskussionen in beispielhaften Redebeiträgen zu erleben. Wir haben das Wahlrecht für Frauen und die gesetzliche Gleichberechtigung heute in vielen Ländern erreicht, doch viele Themen von damals stehen leider immer noch auf unserer Agenda, z. B. die Abschaffung von Militär und Rüstung, Kinderarbeit, Frauenhandel, soziale Gerechtigkeit usw. In den anschließenden sechs Workshops stellten die Frauen die heutige Politik auf den Prüfstand. Am Ende repräsentierten junge Frauen die Ergebnisse der Workshops, denn es geht um ihre Zukunft.

In Zeiten neoliberaler Wirtschaftspolitik und zunehmender Militarisierung verwundert es nicht, bei den Forderungen auf teilweise über hundert Jahre alte „Bekannte“ zu treffen: Militarismus und Patriarchat durch Friedenskultur überwinden, Aufrüstung, Waffenhandel, Waffenproduktion abschaffen und lieber in soziale Gerechtigkeit und Frieden investieren, die UNO demokratisieren sowie Gendergerechtigkeit fördern. Die Anwesenden bekannten sich zur Lobbyarbeit für bestehenden Abrüstungsverträge, insbesondere den Atomwaffenverbotsvertrag.
Einige Workshops thematisierten die im wahrsten Sinne des Wortes verHEERenden Auswirkungen des militärisch-industriellen Komplexes auf die Umwelt und die Gefahr eskalierender Konflikte durch den Klimawandel. Der Workshop „Women Vote Peace“ beleuchtete den soziopolitischen Prozess von Wahlen, forderte Geschlechterparität und Diversität in Gremien und Parlamenten und empfahl Frauen zu wählen, die sich für Frieden und Feminismus einsetzen. Wie hundert Jahre zuvor verband die Teilnehmer*innen der Wille, miteinander über mögliche Verschiedenheiten hinweg solidarisch zu sein, beispielhaft visualisiert auf der Sprechblase des Workshops Gender und Gerechtigkeit. Die Schweizer Friedensfrauen hatten sich an ihrem runden Tisch unter anderem vorgenommen, die Forderungen der Frauen an ihrem Frauenstreiktag am 14. Juni 2019 auf die Strasse zu tragen. Da wünschen wir viel Erfolg und bedanken uns noch einmal herzlich für die Gastfreundschaft!
von Irmgard Hofer
