Eine feministische Analyse der Corona-Krise

Die aktuelle Krise ist zwar ein gesamtgesellschaftliches Problem, dennoch braucht es die feministische Perspektive um genauer zu beleuchten, wer besonders unter den weltweiten Entwicklungen auf Grund der Corona-Krise leidet beziehungsweise davon profitiert. Erst daraus wird erkenntlich, welche Handlungsschritte zum Schutz besonders benachteiligter Gruppen erforderlich sind.
Der Umgang mit vergangenen Epidemien hat gezeigt, dass bei weitem nicht genug Daten in Bezug auf Frauen erhoben wurden. Nur 1% aller Publikationen zu Zika und Ebola untersuchen den Genderaspekt während einer Erkrankung von großen Bevölkerungsteilen. Eine wichtige Erkenntnis aus der Ebola-Krise waren die geschlechtsspezifischen Folgen: mehr Mädchen als Jungen verließen die Schule, häusliche Gewalt stieg, der Anteil an Teenager-Schwangerschaften erhöhte sich in einigen Gebieten um 65% und die Mortalitätsrate von Gebärenden stieg an.
Der wohl dringlichste Punkt ist die Zunahme von häuslicher Gewalt, ausgelöst durch die notgedrungene Quarantäne. Deutschlandweit weisen dieser Tage viele Frauenorganisationen darauf hin, dass sich unter der herrschenden Ausgangsbeschränkung, die von politischer Seite Kontaktsperre genannt wird, die Situation zunehmend verschärft. In China kam es während der Quarantäneregelungen bereits zu einem drastischen Anstieg häuslicher Gewalt.
Auch in Deutschland steigt die Zahl der Frauen, die einen Platz im Frauenhaus benötigen, seit dem Beginn der Pandemie an. Die Anzahl der Plätze ist jedoch dieselbe wie vor der Krise. Frauen, die erkrankt sind (egal ob sie Corona haben oder nicht), können nicht mehr aufgenommen werden. Deshalb ist eine nachhaltige Finanzierung für Frauenhäuser und Beratungsstellen dringend erforderlich, um ausreichend Plätze für Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt bereitzustellen – insbesondere im Krisenfall!
Pflegekräfte, Supermarktangestellte und Erzieher*innen sind in den letzten Wochen zu Personen geworden, die einen systemrelevanten Job ausüben und zur Arbeit gehen, während viele Menschen aus dem Homeoffice arbeiten. Ein Großteil dieser unterbezahlten Berufsgruppen besteht aus Frauen. Diese müssen jetzt und auch nach der Krise endlich angemessen bezahlt werden.
Die Epidemie macht auch Familien zu schaffen: Eltern müssen derzeit ihre Kinder ganztägig betreuen und im schulpflichtigen Alter auch unterrichten. Besonders für Frauen wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch schwieriger, weil sie häufig den größten Anteil von unbezahlter Haus- und Carearbeit übernehmen.
Auch für Alleinerziehende, zu denen 90% Frauen zählen, wird es wirtschaftlich schwieriger, weil sie alleine auf die Kinder aufpassen und deshalb nicht mehr arbeiten können. Diejenigen, die im Homeoffice weiterarbeiten, müssen auf die Kulanz ihres Arbeitgebers/ ihrer Arbeitgeberin hoffen, um ihren Job zu behalten.
Der Staat muss deshalb die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle ermöglichen und bei Ausfällen finanziell einspringen und Alternativen bieten. Notfallpakete sollten neben bezahlter Arbeit auch unbezahlte Arbeit mit einschließen.
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland noch immer nicht legal und aktuell verschärft sich das Problem für Frauen insofern, dass der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen nicht gewährleistet ist. Frauen muss der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen uneingeschränkt gewährleistet werden – während und nach der Krise!
Auch die sicherheitspolitischen Auswirkungen der Krise sind aus feministischer Perspektive zu betrachten. Es ist möglich, dass nationale und internationale Sicherheit eine ganz andere Bedeutung bekommen, da die Bedrohung aktuell von keinem “Feind” im Sinne eines Landes oder Machthabers ausgeht, sondern von einem Virus. Was helfen dann die großen Investitionen in Militär und Rüstung, wenn diese gar nicht für die Sicherheit der Menschen aufkommen beziehungsweise garantieren können?
UN-Generalsekretär Guterres hat im Rahmen der Bekämpfung des Corona Virus zu einer weltweiten Waffenruhe aufgerufen. Wenngleich sein Appell von Politik und Medien größtenteils unbeachtet blieb, kann dieser Schritt durchaus als Chance für eine friedlichere Welt verstanden werden. Denn anstatt auf militärische Macht oder Zwang zu setzen, stellt Guterres aktuell mehr Konfliktmediator*innen ein. Was bedeuten diese Aktionen für die Sicherheits- und Friedensdebatten? Was bedeutet dies für die militärische Aufrüstung und Kriegsführung, bei denen Frauen und Minderheiten die größten Leidtragenden sind?
Die Corona-Epidemie wirft viele Fragen auf, noch gibt es dazu wenige Antworten, doch es wird klar, dass großer Bedarf an genderspezifischen Analysen ist!
von Julia Trippo und Marieke Eilers
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