28. Mai 2018

Frieden geht: Vom Bahnhof in Schrobenhausen zum Werkstor der MDBA

Seit dem 21. 5. sind die Friedensläufe ab dem Rüstungsstandort Oberndorf (Kleinwaffen-Fabrik Heckler & Koch) in Richtung Berlin unterwegs. Die Laufstrecke führt an mehreren Rüstungsstandorten entlang einer festgelegten Route – über Karlsruhe, Mannheim, Frankfurt (Main), Kassel, Eisenach, Jena, Halle (Saale) und Potsdam – und endet in Berlin am 2. Juni 2018 mit einer Großkundgebung.

Als Zeichen der Solidarität mit den Staffelläufen zur Abrüstung gingen am 21. 5. etwa 60 bayrische Friedensbewegte vom Bahnhof in Schrobenhausen zum Werkstor der MDBA im Wald von Sandiszell, eine Airbustochter und derzeit der weltweit umsatzstärkste Lieferant für Lenkwaffensysteme. Unter anderen hielt auch die IFFF-Vorsitzende Irmgard Hofer eine Rede zu den Forderungen der internationalen Friedensfrauen:

„Vor über 100 Jahren  im April 1915 kamen über 1000 Frauen in Den Haag zusammen, um das sofortige Ende des I. Weltkriegs und vollständige Abrüstung zu fordern. So entstand die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit IFFF“, englisch „Women’s International League For Peace and Freedom, WILPF“. Seit damals haben wir auf dem Papier einiges erreicht: die Gleichberechtigung und das Wahlrecht, die UNO und einen Strafgerichtshof. Mit der UN-Resolution 1325 gab es 2000 erstmals einen Beschluss des Sicherheitsrats, der Frauen nicht nur als Opfer von Kriegen wahrnahm,  sondern auch als Akteurinnen des Friedens anerkannte, die Folgeresolutionen stellten u. a. klar, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen als Kriegsverbrechen zu ahnden ist.

IFFF-Vorsitzende Irmgard Hofer

Doch wie sieht die Realität im Mai 2018 aus? Es wird aufgerüstet. Das Stockholmer Peace Research Institut SIPRI hat bekannt gegeben, dass 2017 die weltweite Rüstungsproduktion um 1,1 % anstieg auf 1 Billion 739 Milliarden US-Dollar, eine Zahl mit 13 Stellen!! 610 Milliarden gehen allein auf das Konto der USA, es folgen China, Saudi Arabien, einer der besten deutschen Kunden, mit einem Wachstum zum Vorjahr um fast 10 Prozent, Russland, Indien, Frankreich, Großbritannien, an 9. Stelle Deutschland, drei Noch-EU-Staaten unter den ersten zehn. Der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e. V. begrüßte am 4. Mai in einer Presseerklärung die geplante finanzielle Förderung durch die Europäische Kommission: „Die geforderte Budgetierung des Europäischen Verteidigungsfonds von 13 Milliarden Euro zeigt, dass die Kommission die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als echten strategischen Mehrwert für Europa begreift.“ Vor drei Wochen erklärte uns beim Treffen der Europäischen WILPF-Frauen in Brüssel der Rüstungsexperte der Grünen EU-Fraktion Tobias Heider, dass bei dieser Aufrüstung in die Kassen von Wissenschaft und Forschung, Ziviler Konfliktprävention, Entwicklungshilfe und sogar ins Erasmusprogramm gegriffen wird und dass pazifistische Gründe dagegen nicht zählen. Am meisten Chance hat nach den EU-Finanzrichtlinien das Argument der mangelnden Effizienz der teuren Anschaffungen mit nur 15 %.

Ein gewisser Christian Lindner sollte sich einmal fragen, was die Spende von 110 000 Euro an seine Partei vom Südwestmetall-Verband  2017, dem unter anderen die Firmen Heckler & Koch, ADS, Diehl und MTU angehören,  mit dem gebrochen deutsch sprechenden illegalen und offensichtlich fremdländisch aussehenden Asylbewerber in seiner Bäckerei zu tun hat. Die Flüchtlinge fliehen vor der tödlichen Wirkung der von Deutschland in Konflikt- und Kriegszonen importierten Waffen, z. B. im Mittleren Osten und Afrika. Sie fliehen, weil der Abbau der für die Waffen notwendigen Ressourcen Lebensgrundlagen zerstört.  Sie fliehen, weil die ungeheuerlichen Ausgaben für Krieg und Zerstörung in ihren Ländern in der Wohlfahrt und in der Gesundheitsfürsorge fehlen. „Move the Money“ fordern unsere Frauen weltweit, investiert in den Frieden, in menschliche Sicherheit: das heißt Zugang zu gesunder Nahrung, sauberem Wasser, Gesundheit und Familienplanung, Bildung, Wohnung und ein Grundeinkommen. Und die UN-Flüchtlingshilfe musste sich erst im April 4 Milliarden Dollar für  Syrien zusammenbetteln und beklagte kurz darauf die Situation im Yemen.

Die Flüchtlinge fliehen aber auch, weil nach dem Waffendeal das jeweilige Unrechtsregime mit Hilfe der durch Korruption angehäuften Reichtümer fester im Sattel sitzt.  Frauen haben allen Grund zur Flucht, wenn mehr Kleinwaffen in ihren Ländern zur Verfügung stehen, weil dann die Wahrscheinlichkeit steigt, bei einem häuslichen Konflikt getötet zu werden.

Wer uns Pazifistinnen für blauäugig hält, der sollte aber auch einmal den Bundestagsabgeordneten tief in die Augen sehen, die an Endverbleibserklärungen glauben. Welche Augenfarbe hat denn eigentlich der Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller, der die Strafanzeige von Jürgen Grässlin gegen Heckler & Koch in Stuttgart seit 2010 bis letzte Woche verschleppt hat? Er glaubt der Konzernleitung, dass diese überhaupt nicht wissen konnte, dass ihre Angestellten in den eigentlich verbotenen unsicheren Provinzen Mexicos G36 Gewehre verkaufen wollten.  

Heidi Meinzolt, IFFF-Frau aus München und IB-Vertreterin,  hat unter Zuarbeit unseres Genfer Büros im Oktober 2017 den Vertretern Deutschlands im UPR – Verfahren der CEDAW, der Kommission gegen die Diskriminierung von Frauen vorgehalten, dass Exportlizenzen an Mexiko gingen, denn dort sind besonders viele Frauenmorde zu verzeichnen, wegen ständiger Menschenrechtsverletzungen wurden auch Waffenverkäufe an Indien, Irak, Katar und Saudi-Arabien gerügt. Die deutsche Regierung überprüft bei der Genehmigung von  Waffenexporten nicht, ob diese im Empfängerland zu geschlechtsspezifischer Gewalt beitragen.

Traudel Haury, der ich an dieser Stelle dafür danken möchte, dass sie diese Veranstaltung initiiert und organisiert hat, fuhr mit mir und 220 Frauen aus 40 Ländern zur Vierten UN-Weltfrauenkonferenz 1995. Wir waren stolz auf das Ergebnis im Bereich Krieg und Frieden, hier ein Zitat aus der Platform of action:

„Wir sind entschlossen … aktiv auf eine allgemeine und vollständige Abrüstung …hinzuarbeiten und die Verhandlungen zum unverzüglichen Abschluss eines universalen und multilateralen und wirksam verifizierbaren Vertrags über das umfassende Verbot von Kernversuchen zu unterstützen“ .

Unsere Organisation hat mit dazu beigetragen, dass 23 Jahre später im Juni 2017  in der UN 120 Staaten einen umfassenden Atomwaffenverbotsvertrag beschlossen. Der Vertrag ist inzwischen von  58 Staaten unterzeichnet und von 9 Staaten ratifiziert. Die deutsche Bundesregierung war wie alle anderen NATO-Staaten nicht einmal zur Teilnahme bereit und betonte stets die nukleare Bündnistreue sowie den Glauben an die Abschreckung. ICAN und der Kampagnenrat „Atomwaffen abschaffen“ arbeitet unter anderem daran, dass möglichst viele auch deutsche Abgeordnete vom Europaparlament bis zum Gemeindeparlament eine Erklärung zur Unterstützung des Vertrags unterschreiben. Die Koordination für den Bayrischen Landtag habe ich übernommen, ich freue mich über alle Unterstützerinnen.

„Was gibt es denn Postives?“ werde ich manchmal gefragt. Für mich sind das die Netzwerke und die Solidarität, die gerade unter alten und jungen oder neuen Friedensfrauen, vor allem in Afrika.  WILPF hat in den letzten Jahren konsequent daran gearbeitet, einen Dialog zwischen Frauen aus  Konfliktregionen zu fördern, zum Beispiel zwischen Frauen aus dem Balkan, der Ukraine und dem Nahen Osten und deren Zugang zu den UN-Friedensverhandlungen zu ermöglichen. Unsere spanische Sektion hat die Frauen aus Kolumbien dabei begleitet, ihre Forderungen in die Friedensprozesse einzubringen, unsere japanische Präsidentin unterstützte die  Süd- und Nordkoreanerinnen der Women Cross DMZ  bei ihrem Dialog und ihren Forderungen für einem Friedensvertrag, nämlich  die Wiedervereinigung der Familien, für eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel und eine  Führungsrolle von Frauen im Friedensprozess.
Zusammenfassend kann ich mich nur selbst zitieren: Rüstung und deren Export und Einsatz im Krieg gehen ins Geld, sie zerstören Wohnraum, Infrastruktur,  Umwelt und Ressourcen. Wer berechnet die Auswirkungen der Kriegslogik auf Generationen durch Traumata und Aufhebung der Moral und Kultur, die sie vorgibt zu schützen? Es gibt keine Alternative zum Frieden. Wir fordern ein Recht auf Frieden.“