26. Juli 2019

Gegen die verstärkte Sichtbarkeit der Bundeswehr in unserem alltäglichen Leben

Ein Brief der IFFF/WILPF an alle Mitstreiter*innen für Frieden und Freiheit anlässlich der Ernennung Annegret Kramp-Karrenbauers als neue Verteidigungsministerin.

Frauen in politischen Spitzenämtern – das könnte für eine feministische Organisation wie die IFFF/WILPF, die sich seit über 100 Jahren für die Gleichberechtigte Mitwirkung von Frauen in allen politischen Ämtern einsetzt, ein Grund zur Freude sein. Jedoch mit Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer sind genau die Frauen „gewählt“ worden, die wir uns nicht wünschen: Konservativ, folgsam, keine Spur kritisch oder gar aufmüpfig. Damit ist wahrlich nicht das „Ende des Patriarchats“ (taz) gekommen.

Viktor Orban konnte seine Begeisterung kaum zügeln. „Wir haben eine deutsche Familienmutter, die Mutter von sieben Kindern, an die Spitze der Kommission gewählt“, jubelte der ungarische Ministerpräsident nach der Nominierung von Ursula von der Leyen für den EU-Spitzenjob. Nun sei in Europa eine Wende zu erwarten, meinte der Rechtsnationalist. „Wir haben einen wichtigen Sieg errungen“ (Stern 5.7.19). Ja, diese auf Heterosexualität und Arbeitsteilung basierenden Familienstrukturen sind strategisch gesehen die Voraussetzung für eine nationalistische Regierung.

Frau von der Leyen verdankt ihren Job den Regierungschefs, die sie an der EU-Wahl vorbei ins Amt gehievt haben, deren nationale Politik in ihren jeweiligen Ländern von Antisemitismus, regressiver und sexistischer Familien- und Sozialpolitik, rassistischer Migrationspolitik, Aushebelung von Rechtsstaatlichkeit usw. geprägt sind.

Die Ex-Verteidigungsministerin hat sich schon lange für eine gemeinsamen europäische „Verteidigungspolitik“ ausgesprochen. „Heute ist ein großer Tag für Europa“, sagte sie am 13. November 2017, als die Außen- und Verteidigungsminister von damals 23 der 28 Mitgliedstaaten die Permanent Structured Cooperation, kurz Pesco, besiegelten. Die Verteidigungsunion soll die EU unabhängiger von den USA machen und zu gemeinsamen Rüstungsprojekten führen. Durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit kann in den einzelnen Ländern nur erschwert eine restriktivere Rüstungsexportpolitik durchgesetzt werden.

Annegret Kramp-Karrenbauer hat einen missglückten Start als Vorsitzende der CDU hinter sich und tritt nun die Flucht nach vorne ins Verteidigungsministerium an. Frau von der Leyen hinterlässt dieses Amt mit Skandalen und vielen Soldaten*innen in Auslandseinsätzen. Hinzu kommen die hohen Ausgaben für externe Beratungsunternehmen, die die Aufgaben der Bundeswehr in den letzten Jahren immer weiter privatisierten. Dass die vergangenen Jahre gezeigt hätten, die Welt sei unsicherer geworden (Deutschlandfunk, 24.7.2019), trägt in keiner Weise zu einer Rechtfertigung des Verteidigungsetats bei. Mit solcherlei leeren Worthülsen bespielt sie den Diskurs um „nationale Sicherheit“. Dieser hat in verheerender Weise in den letzten Jahren zur Rechtfertigung von Abschottung von Europa und verstärkter Militarisierung von Grenzen, post-Konfliktgebieten usw. geführt. Stattdessen müsste sich die Regierung für die Bekämpfung von Fluchtursachen und um globale, solidarische Lösungen für die Klimakrise einsetzen – wie dies von der Zivilgesellschaft als präventiver Politikansatz eingefordert wird.

Von dem Ziel einer friedlicheren Welt zu schwadronieren klingt zynisch, verpufft, sobald deutlich wird, dass die Gleichung „Sicherheit und Stabilität kann nur durch mit Militäroperationen erzielt werden“ nicht aufgeht. In der politischen Praxis, im Engagement so vieler Frauenorganisationen vor Ort, wie auch in der Forschung ist klar das Gegenteil belegt. WILPF/IFFF ist seit ihrer Gründung der Meinung, dass Freiheit und Sicherheit nie durch Gewalt erzielt werden können.

Die gesellschaftliche Rolle der Bundeswehr ist im Grundgesetz verankert. AKK‘s Forderung, die Bundeswehr gehöre „in die Mitte der Gesellschaft, in die Mitte der Städte und Gemeinden“ mit Gelöbnissen von Soldat*innen in der Öffentlichkeit (DLF), sie müsse sichtbarer werden, ist das Gegenteil einer friedenspolitischen, auf Gleichheit ausgelegten Politik. Militarisierung verstärkt patriarchale Strukturen in Gesellschaften, führt zu Heroisierung von (hauptsächlich noch immer) Bildern männlicher Soldaten und zur Verherrlichung und Verharmlosung von Krieg. WILPF/IFFF spricht sich klar gegen die geforderte verstärkte Sichtbarkeit der Bundeswehr in unserem alltäglichen Leben und die damit bewirkte Militarisierung von Gesellschaft aus.

Die neue Verteidigungsministerin fordert eine deutliche Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben. Die Bundesrepublik habe dem NATO-Ziel, die Militärausgaben bis 2024 in Richtung zwei Prozent zu erhöhen, eine „klare Zusage gegeben“, sagte die CDU-Vorsitzende. (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

2 % sind ca. 80 Mrd. des deutschen BIP jedes Jahr. Wir fragen unsere Regierung: Warum gebt ihr das Geld nicht längst für andere Zwecke aus, z.B. für Umwelt und Klimaschutz (apropos die Ausgabendafür belaufen sich in 2019 auf 2,3 Mrd. €) oder für Bildung, Gesundheit und soziale Fürsorge? Die IFFF/WILPF Kampagne Move the Money from War to Peace erläutert dies bestens.

Forderung dieser Art dienen nur der Selbstinszenierung einer Annegret Kramp-Karrenbauer, die auf den Trump‘schen Zug der Aufrüstung aufzuspringen versucht und dann ganz nonchalant noch die aktuelle Krise in der Straße von Hormuz und ein weiteres militärisches Engagement Deutschlands mit ins Spiel bringt.

Frauen tragen – global betrachtet und durch patriarchale gesellschaftlich Strukturen – mehr Verantwortung für die Kinder der Welt, für Ernährungssicherheit und reproduktive Arbeit, während sie ungleich stärker von Klimawandel, Konflikten, Militärs und dessen Auswirkungen betroffen sind. Eine progressive Politik der Gleichheit sollte sich am Überleben und Wohlbefinden aller Menschen orientieren. Die immense Erhöhung der deutschen Rüstungsausgaben hat jedoch den gegenteiligen Effekt.

Politiker*innen, die sich für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik und eine derart starke Erhöhung des Verteidigungsetats aussprechen, deren Regierungen es allerdings nicht schafft, im eigenen Land und global Verantwortung für Klimagerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit zu übernehmen, sondern für viel Geld Unternehmensberatungen zur Hilfe zieht und ein Rechtsextremismusproblem innerhalb der heute so hoch gelobten Bundeswehr über Jahrzehnte nicht wahrnehmen wollte, hat offenbar den Ernst der Lage nicht verstanden. Einfach nur Frauen an die Spitze ziehen, aber die gleiche Politik weiterfahren – das hat nichts mit Geschlechtergleichberechtigung oder feministischer Politik zu tun.

WILPF/IFFF fordert einen substantiellen Schub für eine feministische und anti-militaristische Politik, spricht sich gegen Krieg und weitere Bewaffnung aus und steht für zivile Konfliktlösungen, nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und Klimagerechtigkeit. Ein Anlass für eine zukünftige Regierung, mal wieder über ein längst fälliges Friedensministerium statt „Verteidigungsministerium“ nachzudenken.

von Brigitte Obermayer, Madita Standke-Erdmann, Victoria Scheyer, Jennifer Menninger, Heidi Meinzolt & Irmgard Hofer