11. Januar 2016

Gewaltübergriffe – was bedeutet Köln für pazifistische Feministinnen?

Wir sind empört über diese völlig inakzeptablen Entgleisungen männlichen Mobs und pervertiertem Machoverhaltens, gepaart mit exzessivem Alkohol – sei es in der Sylvesternacht, sei es gestern durch Hooligans und Pegidajungmänner! Dass eine nicht zu übersehende Ignoranz gegenüber rassistischer und sexualisierter Gewalt zum punktuellen Versagen der Polizeistrategie in Köln dazukommt, macht die Sache zu einem Skandal, der eine Antwort auch der Frauen aus der Friedensbewegung nötig macht. 

Die Dämme der großen „westlichen Wertegesellschaft“ sind eingebrochen. Verbal ist Gewalt im öffentlichen Diskurs hyperpräsent. „Aggressives Grundrauschens“ in allen Netzen nennen es die einen, „Populismus ohne Obergrenzen“ die anderen. Im Ohr bleibt die Islamfeindlichkeit und Überfremdungsängste, medial verstärkt durch prominente Stimmungsmacher, die das Bürgertum und die Rechten auf die Plätze Deutschlands treibt. Im Windschatten mangelnder Strafverfolgung fordern Politiker nun Null-Toleranz – als ob es jemals Toleranz gegenüber sexuellen Übergriffen gegeben hätte oder geben dürfte!

Über Frieden zu reden, ist deshalb wieder hochaktuell. Es geht um den innergesellschaftlichen Frieden genauso wie um eine konsequente Antikriegshaltung. Beide ergänzen sich gerade in der Flüchtlingsfrage. Jetzt nur nach mehr Abschottung und Überwachung für die persönliche Sicherheit zu rufen, verschiebt nur das Problem. Eine konsequente Strafverfolgung, ein besonderes Augenmerk auf rassistische Umtriebe- auch und gerade bei der Polizei, Aufklärung und Bildung für eine geschlechtergerechte humane und offene Gesellschaft sind dazu unverzichtbar.  

Als meine Pariser Freundin nach den Attentaten sich mit der Forderung „totale Abrüstung jetzt!“ auf die Place de la République stellte, erntete sie zunächst eher Unverständnis, aber dann auch zögerliche Zustimmung, denn was ist logischer als auf Waffen zu verzichten, wenn sie gerade wieder todbringend eingesetzt wurden. Mit Abrüstung – verbal und reell – fängt Friedenspolitik an! Gewalt muss aus der gefährlichen Spirale von Gewalt und Gegengewalt heraus. Auf eine lückenlose Analyse der Ursachen für Gewalt im Rahmen einer bildungs-und sozialpolitischen Offensive baut KonfliktpräventionAber auch ein Familiennachzugsrecht für Flüchtlinge bekommt bei dem hohen Anteil junger alleinstehender Männer unter den Flüchtlingen in diesem Zusammenhang eine zusätzliche Bedeutung.

Als politische Frauen dürfen wir auch nicht aus dem Auge verlieren, dass jede 2. Frau laut einer Studie im vergangenen Jahr, sexuelle Belästigung und Gewalt erlebt hat. Alltagssexismus ist nach Kübra Gümüsay, einer feministischen muslimischen Journalistin, lange kleingeredet worden und die entsprechende Sensibilität fehlt vielen der – jetzt auf einmal zu lauten „Vorkämpfern“ des Feminismus und der Gewaltlosigkeit mutierten – PolitikerInnen. „Nein ist Nein!“ Wir brauchen mutige, selbstbewusste Frauen auf allen Entscheidungsebenen, in Politik und Polizei. Auch das ist Konfliktprävention. 

WILPF-Frauen aus unseren Nachbarländern fragen sich entsetzt, was hier in Deutschland passiert. Der sich hinziehende NSU-Prozess zur Aufklärung neonazistischer Morde, der Untersuchungsausschuss im Bundestag, der das rechte Umfeld bisher nur unzureichend ausleuchtet, der krasse Widerspruch zwischen dem „Willkommensland“, der Diskussion um eine absurde Obergrenze für Flüchtlinge und die brennenden Asylunterkünfte, es gibt viele Widersprüche und Gerechtigkeitslücken, die neue Gewalt generieren. In den Lösungen sind wir uns einig: Wir sagen Nein zu Bombardierung in Syrien als Reaktion auf die Pariser Attentate, Nein zu Waffenlieferungen in den Nahen und Mittleren Osten, die die Kriege alimentieren und noch mehr Menschen in die Flucht treiben. Wir fordern ganz andere Investitionen in eine verantwortungsvolle Sozial-und Kulturpolitik hier in Europa mit einem an Menschenrechten und Humanität orientierten Diskurs über Migration. Wir fordern Sanktionen für Gewalttäter im Rahmen der bestehenden Gesetze und schließlich eine sichtbare Beteiligung von Frauen mit Verantwortung in Entscheidungsstrukturen.