Ligaaktivitäten im Bereich Abrüstung seit der Gründung 1915

Bertha von Suttners Werk „die Waffen nieder“ rüttelte 1889 eine Welt auf, die immer noch an die Macht des Militärs zur Konfliktlösung glaubte. Anita Augspurg lud Bertha von Suttner in das Münchner Atelier Elvira ein, um aus ihrem Buch zu lesen (Frauen war politische Betätigung bis 1908 per Gesetz verboten). So war es ein „künstlerisch-literarischer“ Abend und die Frauen wussten, dass für sie der Einsatz fürs Stimmrecht den Kampf gegen Krieg und Ungerechtigkeiten implizierte.
Mit der Industrialisierung und der Zunahme kapitalistischer Produktionsweisen war der Kampf um die Sicherung der Rohstoffe und um wirtschaftlichen und politischen Einfluss der Nationen, also der Wurzel des Nationalismus, entbrannt und manifestierte sich in Aufrüstung und Wettrüsten. Dagegen formierten sich Friedensgesellschaften und pazifistische Bewegungen. Margarethe Selenka sammelte unter anderem mit Anita Augspurg, Lida Gustava-Heymann und Minna Cauer Unterschriften und organisierte Kundgebungen. Die Frauen verfolgten wie auch ihre französischen und britischen Kolleginnen mit großer Skepsis die Aufrüstung vor dem 1. Weltkrieg und schrieben dagegen an, trafen und verbündeten sich international. Die Frauen wurden als Vaterlandsverräterinnen gebrandmarkt.
Seit 1897/98 initiierten Sozialist*innen Protestversammlungen gegen die Flotten und Kolonialpolitik des Kaiserreichs, unter ihnen besonders aktiv Clara Zetkin (Zitat: „Dieser Marine keinen Kahn und keinen Groschen“). Einige Jahre später bezeichnete sie „Krieg als die Erweiterung und Ausdehnung des Massenmordes, dessen sich der Kapitalismus auch im sogenannten Frieden zu jeder Stunde am Proletariat schuldig macht.“
Die Resolutionen des Haager Frauenfriedenskongresses 1915 zu „allgemeiner Abrüstung“ waren eindeutig: So fordert der Kongress, dass alle Länder auf Grund eines internationalen Abkommens die Fabrikation von Waffen und Munition verstaatlichen und deren internationalen Handel unter Aufsicht stellen soll. Der Kongress sieht in der Ausschaltung der Privatinteressen an der Waffenproduktion ein wichtiges Mittel zur Abschaffung der Kriege. Die Resolutionen wurden zu politischen Entscheider*innen in der Welt getragen. Der Krieg konnte nicht gestoppt werden.
Nach Ende des 1. Weltkriegs, beschlossen Frauen auf dem Züricher Kongress die Friedensverhandlungen in Versailles zu beeinflussen. Klar und deutlich machte sie: “Wir fordern eine allgemeine und totale Abrüstung!“ Dies war gegen die einseitige Zuweisung der Kriegsschuld an Deutschland gerichtet, denn sie sahen im Revanchismus und aufkommenden Faschismus den nächsten Krieg voraus. Was sich leider bewahrheitete.
1921 fordern Ligafrauen auf einer internationalen Kundgebung für die Weltabrüstung mit breiter internationaler Unterstützung einen mehrsprachigen Aufruf „Der Krieg ist geächtet – ächten wir die Kriegsmittel!“
Auf dem Ligakongress in Washington 1924 machten die Chemikerinnen Gertrud Woker und Naima Sahlbohm die Welt auf die verheerenden Wirkungen von Chemiewaffen aufmerksam. Sie zeigten auf wie skrupellos die Rüstungslobby Menschenleben opferte. Sie richteten dramatische Appelle an die Wissenschaftler*innen, die auch Marie Curie unterstützte, und Künstler*innen wie Gulbranson und Käthe Kollwitz zu Werken inspirierten.
1932 kam es zur Internationalen Abrüstungskonferenz des Völkerbundes. Ligafrauen zusammen mit anderen Aktivist*innen starteten eine Unterschriftskampagne mit dem Titel:“ Auf den Krieg wurde verzichtet, nun lasst uns auf die Rüstung verzichten…“ Sie brachten in Kürze 6 Millionen Unterschriften aus der ganzen Welt zusammen, die sie bündelten und in LKWs zum Gebäude des Völkerbunds transportierten. Sie veranstalteten Großveranstaltungen zusammen mit dem Weltfriedensbund der Mütter und Erzieherinnen. Dort war die Hauptrednerin die französische Pazifistin Marcelle Capy, mit dabei auch Erika Mann.
Nichts konnte den 2. Weltkrieg aufhalten. Es kam zu den ersten Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, der eiserne Vorhang wurde zugezogen und 2 Blöcke hochgerüstet.
Kampagnen gegen Atombomben, die Wiederbewaffnung der BRD und der internationale Rüstungswettlauf und dann die Debatte „Frauen in die Bundeswehr – wir sagen nein!“ prägten die Nachkriegszeit bis weit in die 70er Jahre: „Welcher Weg führt zur Sicherung des Friedens in Europa?“ diskutierten die Frauen und initiierten mit Pazifist*innen Ostermärsche, Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, organisierten und belebten Kontakte nach Osteuropa und zunehmend auch in die Welt.
1976 kam auf Drängen von Nichtregierungsorganisationen die erste UN-Sonderkonferenz zur Abrüstung zustande, an der in den Folgejahren immer eine internationale Ligadelegation von der Tribüne aus die Diskussionen verfolgte und ein Statement verlas. Eine entscheidende Rolle spielte dabei Edith Ballanthyne als Generalsekretärin und Präsidentin.
1979 beteiligte sich die Liga an Aktivitäten gegen den NATO-Doppelbeschluss, initiierte 1982/83 die STAR-Kampagne („Stop the Arms Race“) mit Riesenprotestaktionen gegen die Stationierung neuer Waffensysteme und gegen das Wettrüsten. Die Kampagne wurde von vielen, auch deutschen Ligafrauen, initiiert und scherpunktmäßig getragen und von Prominenz und weiteren Organisationen wie Greenpeace und IPPNW unterstützt.
1984 begannen Kampagnen gegen einen umfassenden Atomwaffenteststoppvertrag und andere multilaterale Abrüstungsabkommen. Als unmittelbarer Schritt dahin wird gefordert, die Rüstungsetats sofort weltweit einzufrieren und sie stufenweise um zunächst 10% zu verringern.
Nach dem Fall der Mauer und dem Ende der Blockkonfrontation keimten neue Hoffnungen auf Abrüstung auf, obwohl gleichzeitig die technische Entwicklung bei Waffen zügig voranschritt und sich die NATO bald neue Betätigungsfelder im weltweiten Einsatz suchte und fand: im Bereich der Rohstoffsicherung und geostrategischen Bündnissen.
Zu Beginn der 1990er Jahre erstellte Eleonore Romberg im Bayerischen Landtag zusammen mit zahlreichen Mitstreiterinnen die Broschüre „Rüstung weiß-blau“ zu Rüstungsstandorten in Bayern. Zur Vereinigung von Ost und West wurde am Marienplatz in München ein Transparent entrollt mit dem Titel „Wer sich vereinigt, muss zuerst verhüten lernen“, biespielsweise durch Abrüstung.
1995 wurden im Rahmen der Rolling School auf der Fahrt zur Weltfrauenkonferenz nach Peking auch diskutiert und gefordert „die Entwicklung und Produktion, den Handel und sonstige Transfers aller Waffen zu beenden… und die Militäretats zu begrenzen, Nuklearwaffen und weitere Massenvernichtungswaffen abzubauen und zu vernichten.“
Im Haager Friedensappell 1999 wurde wieder der Bogen von der Abrüstung zur Armut geschlagen, was wenige Jahre später zu der internationalen WILPF-Kampagne „Move the money from war to Peace“ und den Slogan „You get what you Pay for“ führte.
Mit der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ und den dazugehörigen Nationalen Aktionsplans schließt sich der Kreis zur Politkkohärenz, die wir einfordern: Schutz der Menschenrechte und Prävention von Krieg und Gewalt durch konsequente Abrüstung in Verbindung mit einer Ursachenanalyse von Gewalt und Krieg aus einer feministischen Perspektive. Wir engagieren uns gegen den politischen Mainstream und auf der Grundlage einer langen Tradition in WILPF, intersektional und mit Engagement, damit sich endlich die Vernunft durchsetzt.
von Heidi Meinzolt