22. Juni 2020

Offener Brief anlässlich des deutschen Vorsitzes der EU-Ratspräsidentschaft

Sehr geehrte Bundeskanzlerin Angela Merkel,
sehr geehrter Bundesaußenminister Heiko Maas,
sehr geehrte Bundesministerin Franziska Giffey, 

ab dem 1. Juli 2020 wird Deutschland für sechs Monate den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, und hat damit die Möglichkeit in der Triopräsidenschaft mit Portugal und Slowenien ein langfristiges Programm für strukturelle Veränderungen innerhalb der Europäischen Union zu entwickeln. Die Überwindung der Covid-19-Pandemie und eine nachhaltigere Gestaltung der EU werden dabei eine zentrale Rolle spielen. Die Auswirkungen der Pandemie zeigen deutlich, wie wichtig gemeinsames europäisches Handeln ist, um sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen.

Als feministische Friedensorganisation fordern wir von der deutschen Bundesregierung anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft:

  • Die EU-Außenpolitik muss feministisch werden! Darunter verstehen wir eine EU-weite Umsetzung der UN-Resolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit« und die Durchführung weiterer friedenssichernder Maßnahmen. Dazu gehören die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags (TPNW), militärische Abrüstung und die Förderung von Friedenspädagogik und Mediation.
  • Die EU-Gleichstellungsstrategie (2020-2025) setzt in vielen Bereichen neue Maßstäbe, um Gender-Diskriminierung abzubauen. Ohne die Einführung eines ressortübergreifenden Gender Budgeting kann der EU-Haushalt jedoch weder ausreichend überprüft noch gesteuert werden und strukturelle Benachteiligungen können langfristig nicht abgebaut werden.
  • Die Maßnahmen zur Überwindung der Covid-19-Pandemie müssen die spezifischen Auswirkungen auf Frauen* sowie Menschen aus sozial schwächeren Gruppen, wie beispielsweise ältere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen, Geflüchtete und Beschäftigte im Niedriglohnsektor, berücksichtigen und dementsprechend angepasst werden. Hierfür bietet sich ebenfalls die Umsetzung von Gender Budgeting an.
  • Die Gestaltung eines sozialen, nachhaltigen und demokratischen Europas kann nur erreicht werden, wenn sich Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen maßgeblich an diesem Prozess beteiligen können. Der Einbezug und die Stärkung von Frauen*- und Menschenrechtsorganisationen kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten zu stärken.
  • Der Europäische »Green Deal« sollte durch einen »Care Deal« ergänzt werden, um gleichzeitig den Schutz unseres Planeten und unserer Gesellschaft, insbesondere derschwächsten Mitglieder, zu gewährleisten.
  • Es müssen dringend transnationale Initiativen ergriffen werden, um das Vorgehen anden EU-Außengrenzen und in der Flüchtlingspolitik wieder zu einer menschenrechtsbasierten Politik umzugestalten und den Zugang zum EU-Asylrecht zu gewährleisten.
  • Angesichts zunehmender rassistisch motivierter Gewalt in vielen EU-Mitgliedstaaten und einer aktiven öffentlichen Diskussion über das europäische koloniale Erbe, ist es dringend erforderlich, die seit 2008 feststeckende EU-Anti-Diskriminierungsdirektive wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen.

Wir fordern Sie auf, die Verantwortung ihres Amtes ernst zu nehmen und sich während sowie nach der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für Gendergerechtigkeit und den damit verbundenen Frieden weltweit einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

die deutsche Sektion der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF)