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Stellungnahme: Leitlinien zur Feministischen Außenpolitik

Hier ist unsere Stellungnahme zu den Leitlinien zur Umsetzung einer Feministischen Außenpolitik des Auswärtigen Amts.

WILPF Deutschland begrüßt die Verabschiedung und Vorstellung der Leitlinien für feministische Außenpolitik und der Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik und der damit verbundenen hohen medialen Aufmerksamkeit. Damit wird ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erfüllt und Deutschland reiht sich endlich in die Gruppe von Ländern, die erkannt haben, dass feministische Politik der Grundpfeiler und die Voraussetzung gerechter Gesellschaften ist. Dies gilt für außen- sowie innenpolitische Maßnahmen und Politikfelder.

Seit Jahren setzen sich feministische Organisationen für diesen feministischen Paradigmenwechsel in der Politik ein. Die WILPF blickt auf über 100 Jahre Lobby- und Bildungsarbeit für eine feministische Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit – vor allem mit dem Ziel, Frieden und Freiheit zu verwirklichen. Die Ministerinnen des Auswärtigen Amts und des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben betont, dass  feministische Politik keine Politik “von Frauen für Frauen” ist, sondern darauf abzielt, strukturelle und lang überfällige Verbesserungen in wichtigen Bereichen von Politik, Wirtschaft, Klima und Frieden für alle Menschen zu garantieren. Wir unterstützen den Ansatz und die Betonung, dass die Leitlinien als “work in progress” (S. 20) angesehen werden und eine weitere Ausarbeitung der Teilaspekte in Zusammenarbeit mit feministischer Zivilgesellschaft ausschlaggebend ist.

Für eine feministische Außenpolitik gibt es keine Anleitung, denn feministische Politik muss kontextspezifisch und den jeweiligen Bedürfnissen, Gewaltformen und politischen Strukturen angepasst sein und die Forderungen der feministischen Zivilgesellschaft und Bevölkerung berücksichtigen. Der Ansatz der Bundesregierung, eigene Leitlinien auf Grundlage des Modells der schwedischen drei Rs – Rechte, Ressourcen und Repräsentation – zu gestalten, sehen wir als Chance der Weiterentwicklung eines eher pragmatischen politischen Konzepts. Feministische Außenpolitik muss aber noch weitergehen: Strukturen in Frage stellen und patriarchale und koloniale Handlungsweisen ablegen. Hier sehen wir die Leitlinien als nicht kritisch genug. Denn insgesamt setzt die Leitlinie für feministische Außenpolitik den größten Fokus auf Repräsentation von Frauen in bestehenden Strukturen, Positionen und Gremien, sowie die Analyse der Auswirkungen auf verschiedene Gruppen einer Gesellschaft, meistens als Frauen und marginalisierte Gruppen ausgewiesen. Während dieser Ansatz absolut notwendig ist, fordern wir noch mehr anti-koloniale, anti-rassistische, antikapitalistische und antimilitaristische Maßnahmen. In unserer Veröffentlichung “Feministische Außenpolitik: ein Leitfaden zur praktischen Umsetzung” haben wir 5 Leitprinzipien entwickelt, die die Grundlage für die Gestaltung einer feministischen Außenpolitik beinhalten sollten: ein intersektionaler Ansatz, die Fähigkeit die eigene Machtposition mit Empathie zu reflektieren, die Förderung für substantielle Repräsentation und Partizipation, ein aktives Friedensengagement und ein Mechanismus zur Rechenschaftspflicht. Im Sinne dieses Ansatzes erfolgt eine kurze Einschätzung der WILPF Deutschland der neuen feministischen Außenpolitik der deutschen Bundesregierung.

Frieden und Sicherheit

Die Punkte in Leitlinie 1 orientieren sich an den Säulen Prevention, Protection, Participation und Recovery der Agenda 1325, wie so oft werden aber insbesondere Protection und Participation hervorgehoben. Um transformativ zu wirken, müssen vor allem präventive Maßnahmen vorgenommen werden. Feministischer Frieden als Kernelement einer Feministischen Außenpolitik bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch von struktureller Gewalt und Unterdrückung. Feministische Außenpolitik muss demnach darauf abzielen, Strukturen, die unterdrückend, gewaltvoll und ausgrenzend agieren, nachhaltig abzubauen. Hier sind die Leitlinien nicht tiefgreifend genug.

Positiv zu bemerken ist, dass das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen in der Leitlinie formuliert wird und insbesondere geschlechtsspezifische Folgen von Atomwaffen sowie die Entschädigung von Opfern von Atomwaffentest erwähnt werden. Es kann jedoch keine Welt ohne Atomwaffen geben, wenn die nukleare Teilhabe nicht aufgegeben wird (dazu steht nichts im Papier). Deutschland sollte dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten, da dieser auf eine Welt ohne Atomwaffen und damit die konsequente Ächtung von Atomwaffen abzielt und ihren humanitären und geschlechtsspezifischen Folgen berücksichtigt.

Der Fokus der Leitlinie 1.3 liegt auf Rüstungskontrolle statt Abrüstung. Damit wird der Abrüstungsfokus feministischer Forderungen verkannt. Autonome Waffensysteme und ihre geschlechtsspezifischen und intersektionalen Auswirkungen werden nicht erwähnt. Zudem wird Cybersicherheit nicht erwähnt. Dabei ist ein freies, sicheres Internet wichtige Voraussetzung für Teilhabe und Mitbestimmung, insbesondere auch für Menschen in Krisen- und Konfliktgebieten.

Deutschland übernimmt somit keine pro-aktive Rolle in Abrüstungsinitiativen wie bei Atomwaffen, Verbot von autonomen Waffensystemen und Entmilitarisierung des Cyberspace. 

Es stimmt, dass Feministische Außenpolitik nicht pazifistisch sein muss, jedoch ist ein grundlegendes langfristiges Ziel einer feministischen Außenpolitik Abrüstung. Abrüstung ist insbesondere deswegen hervorzuheben, weil sie den signifikantesten präventiven Effekt hat. In den Leitlinien wird dieses Commitment kaum erwähnt, stattdessen werden militärische Maßnahmen an einigen Stellen angebracht (bspw. European Peace Facility, NATO). Diese können zwar als kurzfristige Maßnahmen, in Situationen, in denen Menschenrechte akut bedroht werden, auch Teil einer feministischen Außenpolitik sein, jedoch muss Militarisierung langfristig entgegengewirkt werden. Diese explizite Positionierung gegen Militarisierung als Kern einer feministischen Außenpolitik fehlt in den Leitlinien.

Menschenrechte

Einer der Schwerpunkte der Leitlinien sind Menschenrechte. Diese Leitlinien sind unterteilt in sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, weibliche Genitalverstümmelung und die Rechte von LSBTQIA+ Personen. Die Benennung und der Fokus auf diese drei Themenschwerpunkte kann bereits als ein großer Fortschritt angesehen werden, jedoch vermissen wir einige Punkte, wie z.B. Landrechte von Frauen und vor allem indigenen Frauen oder auch Asylrechte.  

Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR): Wir begrüßen die Berücksichtigung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte in den Leitlinien feministischer Außenpolitik und die bisherigen Ansätze und Projekte in diesem Bereich. Die Erfüllung von SRGR stellt eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit, körperliche Selbstbestimmung und letztendlich gleichberechtigte Teilhabe dar. Allerdings wird der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in den Leitlinien nicht erwähnt, obwohl dieser gerade für Überlebende von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt in Konflikten relevant sind. Alle Personen müssen Zugang zu einer angemessenen und traumasensiblen Gesundheitsversorgung inkl. sicheren Schwangerschaftsabbrüchen bekommen. Gerade der Zugang zu dem Recht auf Gesundheitsversorgung braucht mehr Aufmerksamkeit. Reproduktive Ungerechtigkeit und strukturelle Faktoren, die die Entscheidungsfreiheit von Frauen und LSBTQIA+ Personen darüber, wann, ob, mit wem und wie viele Kinder sie bekommen möchten, einschränken, müssen adressiert werden. 

Die Bundesregierung setzt ein wichtiges Zeichen, den Pushback gegen Menschenrechte in dieser Leitlinie zu betonen. Aktuell sehen wir aber nicht nur auf multilateraler Ebene und in internationalen Organisationen, wie der UN oder EU die Einschränkungen von wichtigen Rechten für Frauen und LSBTQIA+ Personen, sondern auch in Deutschland und durch den Zuwachs autoritärer, reaktionärer, rechter und rechtsextremer Ideologien. Die Leipziger Autoritarismus Studie zeigt, dass jeder dritte Mann und jede fünfte Frau in Deutschland ein geschlossenes, antifeministisches oder sexistisches Weltbild hat. Wir haben gerade in den letzten Jahren vermehrt antifeministische und rassistische Gewalttaten erlebt und hätten uns an dieser Stelle einen größeren innenpolitischen Fokus gewünscht. Menschenrechte und Sicherheitsbedenken für Teile der queeren, weiblichen oder rassifizierten Bevölkerung in Deutschland müssen dringend ernst genommen werden.

Menschenrechte müssen auch im digitalen Raum geschützt werden. Es ist ein Widerspruch, wenn sich die Bundesregierung für eine faire, freie und sichere digitale Welt einsetzen will, aber gleichzeitig von der Notwendigkeit einer Online-Regulierung spricht. Hass und Diskriminierung im Internet sollten nachverfolgt und bestraft werden, aber das darf nicht zu unverhältnismäßigen Regulierungen führen, die die Meinungsfreiheit und andere Grundrechte einschränken. Ebenso möchte die Bundesregierung das Risiko einer geschlechterspezifischen Benachteiligung beim Einsatz von KI verringern. Dafür sollte sich die Bundesregierung international dafür stark machen, dass die Anwendungsfälle von KI genau geprüft und transparent gemacht werden. Unternehmen müssen zur Verantwortung gezogen werden können.

Klima 

Die Bewältigung der Klimakrise als ein zentraler Aspekt der Leitlinien ist von großer Bedeutung. Insbesondere die Erwähnung von Frauen und marginalisierten Gruppen als Führungspersonen im Kampf gegen die Klimakrise ist zu begrüßen, da wir diese Krise ohne feministische und indigene Lösungsansätze nicht überwinden werden. Deshalb ist die Einbeziehung von lokalen und indigenen Communities in Entscheidungsprozesse (S. 47) eine Selbstverpflichtung, für die wir das AA zur Rechenschaft ziehen werden. Auf die proklamierte Unterstützung muss nun eine substantielle Finanzierung für bisher ignorierte oder marginalisierte Akteur*innen folgen, da weiterhin hauptsächlich technisierte und militarisierte Lösungen für die Klimakrise gefördert werden. Das Gender Mainstreaming in allen globalen Klimaprozessen ist unterstützenswert. Nachdem auf der COP27 kein Gender Focal Point von Deutschland anwesend war, hätte hier zudem ein klares Bekenntnis folgen müssen. 

Wir bedauern sehr, dass in den Leitlinien kein einziges mal Klimagerechtigkeit erwähnt wird. Dies wäre aber wichtig gewesen, um die historische Verantwortung Deutschlands als eines der Länder mit den höchsten akkumulierten CO2-Emissionen deutlich zu machen. Die Klimakrise ist eine Krise der sozialen Gerechtigkeit, die sich disproportional auf solche Menschen und Regionen auswirkt, die am wenigsten zu der Krise beitragen. Zudem überschneidet sie sich mit weiteren Unterdrückungssystemen wie Rassismus, Klassismus, Ableismus, etc.. Aspekte wie Umweltrassismus; extraktivistische, kapitalistische und koloniale Wirtschaftssysteme; die Militarisierung der EU-Außengrenzen oder auch der Einfluss des Militärs auf die Klimakrise werden jedoch nicht kritisch reflektiert. Mit anderen Worten: Der Leitfaden zur Klima- und Energieaußenpolitik bezieht zwar die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Klimakrise ausdrücklich mit ein, versäumt es aber, die Überschneidungen der Ursachen der Klimakrise ganzheitlich zu hinterfragen. Damit kann die Leitlinie nur als Startpunkt angesehen werden, die durch weitere Zusammenarbeit mit Klimagerechtigkeitsaktivist*innen in Deutschland und weltweit ausgearbeitet werden muss. Denn feministische Ansätze stehen im Zeichen von Gerechtigkeit!

von Victoria Scheyer, Johanna Braun, Michelle Benzing, Kristin Neufeld, Jennifer Menninger und Andrea Johnston

Quellen:

Auswärtiges Amt (2023): Feministische Außenpolitik gestalten. Leitlinien des Auswärtigen Amts. URL: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2585008/d444590d5a7741acc6e37a142959170e/ll-ffp-data.pdf

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Heller, Ayline/Brähler, Elmar (Hg.) (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus Studie 2022. URL: https://www.boell.de/sites/default/files/2022-11/decker-kiess-heller-braehler-2022-leipziger-autoritarismus-studie-autoritaere-dynamiken-in-unsicheren-zeiten_0.pdf

Cheung, Jess/Gürsel, Dilek/Kirchner, Marie Jelenka/Scheyer, Victoria(2022): Feministische Außenpolitik: ein Leitfaden zur praktischen Umsetzung. WILPF Deutschland. URL: https://www.boell.de/sites/default/files/2022-11/221029_wilpf_feministische_aussenpolitik_de.pdf