4. November 2019

Use the Momentum!

Eine Einschätzung der Ereignisse und Ergebnisse nach dem Regionaltreffen der UNO/UNECE zu Peking+25 von Heidi Meinzolt.

Die Peking Review Konferenz findet in einem großen Spannungsfeld statt: Auf der einen Seite ein politisches Klima, das von feministischem Backlash, von De-Gendering, dem erneuten Hochhalten sog. „traditioneller Werte“ (Frau in Haus und Familie) und z.T. rechtsextremen Diskursen geprägt ist. Auf der anderen Seite finden sich in Genf etwa 500 engagierte Feministinnen aller Altersgruppen, die sich überschneidenden Themenbereichen widmen: vom Gender Pay Gap bis zum Gender Budgeting, vom Schutz vor Gewalt und Diskriminierung, zur Armutsbekämpfung und (reproduktiver) Gesundheit, über Care und Klimagerechtigkeit zu Partizipation und Frieden. Erklärtes Ziel nicht mehr und nicht weniger als ein „Systemchange“ aus feministischer Perspektive. Das war zumindest der Slogan, der von Hanna Gunnarsson und Sascha Gabizon von der WMG[1] organisierten Veranstaltung, der europäischen und zentralasiatischen Zivilgesellschaft im Genfer Konferenzzentrum.

Der großer Bogen und die ehrgeizigen Ziele erforderten mühevolle kleinteilige Vorbereitungsarbeit auf allen Ebenen und die Vernetzung der Spezialistinnen und Aktivistinnen für eine breite kritischer Bestandsaufnahme, die aus den verschiedenen Weltregionen im kommenden Jahr zusammengetragen wird. Alles floss am 1. Tag in Genf in 22 thematische und 6 regionale Diskussionsrunden ein, aus denen mit hoher Disziplin jeweils wenige zentrale Forderungen gefiltert wurden. Nicht um Frauen als Opfer patriarchal-dominanter Verhältnisse soll es vorrangig gehen, aber natürlich kommt man an strukturellen Barrieren, gläsernen Decken, diskriminierenden Gesetzen, niedrigen Gleichstellungsstandards nicht vorbei. Gewalt gegen Frauen, relativ neu und gefährlich auch im Cyberbereich, Frauen als Opfer von Klimawandel und neoliberaler Wirtschaftspolitik, die Care nicht in ihr Kalkül einbezieht, Krieg und Konflikt. 

Der Fokus lag auf kreativ – ideenreichen Protest, Empowerment und Training, Widerstand und Beteiligung, Frauenrechten (z.B. auch Abtreibung) und Gerechtigkeit, Antirassismus und Antidiskriminierung, Abrüstung, menschliche Sicherheit und Frieden. Die Forderungen wurden der offiziellen Regierungskonferenz im Rahmen der UNO „Generation Equality“ von einer jungen türkischen Anwältin vorgetragen:

  • Engaging young feminists
  • Women migrant rights,
  • Peace & security, and displaced women
  • Rural women & economic empowerment; structural economic barriers 
  • Climate, environment & women’s rights
  • Women’s political participation
  • Violence against women & girls (VAWG) 
  • Corporate and institutional accountability to the Beijing+25 process and overall underfinancing of gender equality implementation, 

Alles in allem ein Plädoyer für Solidarität und Synergien, die das „große Ganze“ einer transformativen Agenda (für Normen und Machtstrukturen) nicht aus dem Blick lässt, aktuelle Trends umkehrt, radikal ist und positive Dynamiken entwickeln kann.

Drei konvergierende Prozesse sind bei den Verhandlungen eingeschlossen, die alle 2020 gefeiert werden und/oder auf der internationalen Tagesordnung zur kritischen Beurteilung stehen: 

  • 20 Jahre UNR 1325 und die damit verbundene Frauen-Frieden-Sicherheitsagenda /FFS 
  • 25 Jahre nach der Pekinger Frauenkonferenz und ihrer wegweisenden Aktionsplattform 
  • 10 Jahre Nachhaltigkeitsziele/SDGs („Ziel 5 Frauen ist für alle weiteren die Voraussetzung“ lt.UN Women-Vertreterin). 

Kleine Schritte in der Praxis und große im Denken! Deshalb „lasst euch nur nicht verrückt machen!“ galt der Rat von Sonja Lokar aus Slowenien. 

51 von 56 Staaten haben ihren Bericht zu Peking +25 der UNO vorgelegt – sicher ein hervorragender Indikator, auf den sich Zivilgesellschaft beziehen kann und es auch in vielen Ländern bereits getan hat.

Vorstellungen von nationalen Errungenschaften und Defiziten nahmen breiten Raum ein auf der Konferenz „Generation Equality“. Vieles erging sich wie üblich auf Regierungskonferenzen natürlich in Formalia und staatlicher bzw. institutioneller Diktion. Aber es war schon auffällig, wieviele kritische und warnende Stimmen im Raum blieben, zumal auch viele Frauen und Frauenorganisationen als Beobachterinnen und in Sideevents aktiv dabei waren.

Interessant für WILPF war u.a. die Stellungnahme der jungen Ukrainerin Oksana Potapova, die in der Schlusserklärung endlich das lange vernachlässigte Thema Krieg und Frieden aufnahm: 

Die UNECE Region schließt Länder im Konflikt oder in einer schwierigen Postkonfliktphase ein. Die Frauen-Frieden-Sicherheitsagenda und ihre Umsetzung wird immer wieder angemahnt, aber wir kommen nicht voran: 

  1. Frieden ist nur möglich, wenn Frauen, zivilgesellschaftliche Gruppen, die vom Konflikt direkt betroffen sind gleichberechtigt und in entscheidender Funktion am Friedensprozess und an allen Verhandlungen beteiligt sind. 
  2. Wir fordern eine Ausweitung des herkömmlichen Sicherheitsbegriffs im Sinne “menschlicher Sicherheit“. Dies muss sich auswirken auf Budgetierung und politische Umsetzung für einen nachhaltigen Friedensprozess.
  3. Konfliktprävention, Friedenserziehung, Dialog und gewaltfreie Konfliktlösung im Rahmen einer Kultur des Friedens müssen zur Norm werden.

Wir wollen den Krieg beenden, nicht ihn verträglicher oder sicherer für Frauen machen!

Weitere regionale Weltforen sind im Gang oder finden bis Januar statt. Informationen fließen zusammen in die CSW-Konferenz im März in New York ein und in weitere Konferenzen am 7-8 May 2020, Mexico City und am 7-10 July 2020, Paris. 


[1] The Women’s Major Group comprises 1300+ member organizations and individuals that self-organize to promote human rights-based sustainable development with a focus on empowering women at all ages, women’s human rights, and gender equality through engagement with intergovernmental negotiations on sustainable development and environment. Women Engage for a Common Future (WECF) is the organising partner for the UNECE Region who together with feminists from the region is coordinating the civil society forum ahead of UNECE regional review meeting (29-30 Oct, Geneva) on Beijing Platform for Action.