1. Mai 2011

Yohko Kuwabara, Mädchen, Hiroshima 12. Klasse, 1945 in der 7. Klasse

Sogar Hiroshima, das sich einst in ein Bild der Hölle verwandelte, geht Schritt für Schritt den Weg der Restauration und die Stadt wird wieder aufgebaut. Seit jener Zeit, wo unsere Stadt zerstört wurde, sind die Monate und Tage von sechs Jahren dahingegangen. Aber wenn ich einmal anfange, mich der Ereignisse jener Tage zu erinnern, verschwindet meine leidenschaftliche Entrüstung, gegen die Atombombe nicht, sie wird ewig bleiben, ganz gleich wie viel Zeit vergehen wird.

Es war ein schöner heißer Morgen. Als ich auf die Uhr schaute, war es kurz nach sieben – oh ich werde zu spät zur Schule kommen. Als ich mich in aller Eile fertig machte, hallte das unheimliche Uuuu der Sirenen, die einen Alarm ankündigten. Beinahe sofort erfolgte die Entwarnung und ich verließ das Haus. Ich eilte über den staubigen, trockenen Asphalt zur Bahn-Halte-Stelle Yamaguchi-cho. Nach ca. 40 Minuten kam eine überfüllte Bahn. Alle Leute drängten mit einem Stoß gegen die Eingangstür. Je mehr wir drängten, desto weniger Chancen schienen wir zu haben mitzukommen. Wir stießen und drängten, dann fuhr die Bahn ohne Warnungszeichen ab. Jemand hing aus der Tür heraus, sein Fuß war eingeklemmt. Ein Schrei: „Halt“, nachdem die Bahn etwa fünf Yard gefahren war, stoppte sie kurz. Mir gelang es trotz des Gedränges hineinzukommen. Bald darauf waren wir an der Haltestelle Hatehabori.

Im gleichen Augenblick wurden meine Augen von einem durchdringenden Licht, das von einem furchtbaren Blitz herrührte, geblendet. Die Umgebung wurde sofort in dichten Rauch von gelber Farbe eingehüllt. Es sah so aus, als ob es Giftgas wäre. Sofort wurde alles stockdunkel, und man konnte nichts mehr sehen. Dann kam ein schweres und geheuer lautes Heulen. Das innere meines Mundes war als ob ich Sand gegessen hätte und meine Kehle tat weh. Als die Dinge um mich herum wieder verschwommen sichtbar waren, rüttelte ich heftig an der Tür, aber sie bewegte sich nicht. Durch das Halbdunkel sah ich direkt vor der Tür einen umgefallenen Telegraphenmast, abgerissene Drähte lagen herum.

Etwa später drehte ich mich um und war überrascht. Ich war der einzige Mensch in der Bahn – die anderen waren schon alle durch eine andere Türe ausgestiegen. Die elektrischen Drähte waren auf dem Boden verwirrt wie ein Stacheldrahtverhau und rote Flammen erhoben sich aus dem Fukya-Departments-Laden mit einem unheimlichen Geräusch.

Ich bahnte mir einen Weg zwischen den Hindernissen und als ich endlich die offene Strasse erreichte, sah ich ein zweijähriges Kind, das sich vor Schmerzen krümmte. Es war blutbedeckt und schrie nach seiner Mutter. Meine Mutter kam mir in den Sinn. Ich wollte nach Hause und sah mich nach dem Weg um. Aber alles was ich sah, kann ich nicht beschreiben – eine ungeheure schwarze Rauchsäule quoll nach oben. Mein erster Gedanken: „Alles ist vorbei …“

Eine Weile stand ich einfach ganz benommen dort, dann sah ich mich selbst an. Alles war fort – die Tasche, die ich in meiner Hand gehalten hatte, die Sandalen, die ich trug. Nur meine Tasche  mit der „Erste-Hilfe-Ausrüstung“ hing von meiner Schulter. Stimmen weinender Kinder, das Geräusch zusammen brechender Häuser, ein wirrer Aufruhr von Männer- und Frauenstimmen…

Nahe vor meinen Augen sehe ich die helle rote Farbe von Blut, den irren Gesichtsausdruck der Menge, die langsam vorbei strömt … Wohin soll ich jetzt nur von hier aus gehen?

Ich folgte den Menschen, die sich alle in eine Richtung bewegen.

Wir passierten den Westlichen Paradeplatz. Danach weiß ich nicht, wohin wir gingen, aber ich kam am Flussufer hinter Sentei heraus. Auf beiden Seiten des Ufers brannten die Häuser lichterloh. Nachdem ich zu dem Sandufer auf der gegenüberliegenden Seite geschwommen war, entspannten sich meine aufgepeitschten Sinne und ich brach zusammen. Da geschah etwas Furchtbares. Zusammen mit einem schrecklichen Wind, der pfeifend um mich herum wirbelte, begann ein Regen wie Tinte zu fallen. Solche seltsamen Regentropfen, die so sehr weh taten, wenn sie auf meinen Körper fielen, diese seltsamen Tropfen von dem dunklen Himmel. Funken waren auch darin enthalten und alles fiel auf mich. Als ich aufstand, um zum Ufer zu gehen, wurde ich sofort von dem furchtbaren Wind umgeblasen. „Jetzt ist alles vorbei“ dachte ich und legte mein Gesicht auf meine Arme. So blieb ich flach auf dem Boden liegen. Heiße Funken fielen auf meine nackten Beine. Ich habe sie Funken genannt und weiß nicht, ob das richtig ist, denn mit dem Regen kam auch richtiges Feuer herunter. Wie heiß das war und wie weh es tat. Schließlich konnte ich es nicht mehr aushalten.

Mit großer Kraftanstrengung entschloss ich mich aufzustehen, um zu einem Ort zu gelangen, wo Wasser war. Ich stand auf und sofort wurde mein Körper von dem heißen Wind erfasst und weggeblasen. Das Problem, was aus mir werden sollte, drängte sich mir auf und anderseits war mir alles gleichgültig. Wie lange Zeit verging bis der Wind erstarb, ich weiß es nicht, der Tag war schon vorbei. Au der Suche nach einem Platz, wo ich die Nacht schlafen konnte, ging ich ganz allein ziellos herum, Hatchobori-Aioibashi – ich folgte den Hauptstraßen in Richtung Koi, wo die Häuser auf beiden Seiten noch brannten.

Ich kam in ein Krankenhaus, in dem ich lange gelegen habe. Meine Eltern haben mich gepflegt. Ich weiß heute noch nicht, ob es Glück oder Unglück ist, dass mein Leben gerettet wurde. Die Menschen sagen oft, dass jeder aus der Vergangenheit nur die schönen Erinnerungen in sich trägt und alles Schlechte würde man vergessen. Aber meine wilde Wut, mein Hass und meine Verachtung gegen die Atombombe werden nie verblassen, werden niemals meinen Sinn verlassen, dessen bin ich sicher, denn durch diese Bombe ist in wenigen Sekunden die Zukunft meines Lebens auf abscheulichtste Weise geändert worden. Aber trotz dieser Tatsache versuche ich zu vergessen….

Was in aller Welt ist die Ursache für eine Tragödie dieser Art?

Man braucht es nicht besonders zu sagen, dass das der Krieg ist. Niemals mehr wollen wir, dass es irgendwo auf der Welt zu einem solchen Wahnsinn kommt. Ich denke, wir sollten allen Menschen auf der Welt die ganze Wahrheit über die Auswirkungen der Atombombe berichten, über das Leid und den Kummer, den sie hervorruft. Es muss die Zeit kommen, wo die ganze Menschheit immer in einer friedlichen Welt leben kann, ohne Furcht zu haben. Ich hoffe, dass besonders die Menschen von Hiroshima die Kraft besitzen, um Ausgangspunkt und Kern einer Bewegung zu werden, in der alle Menschen, gleichgültig, wo sie auf der Erde leben, gemeinsam vorwärts schreiten, um eine Welt zu errichten, in der es keine Kriege mehr geben wird.

Zum Schluss möchte ich allen zurufen: „Menschen der Welt! Lasst nicht zu, dass nochmals Menschen die Erfahrung von Hiroshima sammeln müssen!“

Kindererinnerungen aus Hiroshima
Hrsg. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit

Seit vielen Jahren begehen Menschen in der Bundesrepublik wie auch international den 6. August, den Tag des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima, zum Gedenken an seine Opfer! Es ist aber nicht nur ein Tag der Erinnerung, sondern zugleich ein Mahnruf an alle, die nicht wollen, dass sich das Grauen von Hiroshima jemals wiederholt- für das eigene Volk, wie für irgendein Volk auf der Erde.