Die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit – 1915
„Wir Frauen so vieler verschiedener Nationalitäten, die wir uns, um unsere Gefühle auszudrücken, verschiedener Sprachen bedienen müssen, von denen eine jede ihre eigenen nationalen Charakterzüge trägt, sind hierher gekommen, in dem gleichen Bewußtsein, mit den gleichen Hoffnungen, dem einen Wunsch, daß unsere Stimme bis ans Ende der Erde dringe im Protest gegen diesen fürchterlichen Massenmord und gegen die Annahme, Krieg sei der einzige Weg, internationale Konflikte auszutragen.“
Mit diesen Worten eröffnet Dr. Aletta Jacobs, erste praktizierende Ärztin in den Niederlanden und Vorsitzende des niederländischen Zweiges der Internationalen Frauenstimmrechtsbewegung, den 1. Internationalen Kongress europäischer und amerikanischer Frauen vom 28. April bis zum 1. Mai 1915 in Den Haag. Rund 1200 delegierte Frauen sind zum Teil unter größten Schwierigkeiten aus 12 kriegsführenden und neutralen Ländern angereist, weitere 300 BesucherInnen und Beobachterinnen nehmen teil. Welche Brisanz dieses internationalen Treffen besitzt, läßt sich deutlich an den Reaktionen der kriegsführenden Länder verfolgen: Sondererlasse sollen die Einreise in die Niederlande verhindern – deutsche Frauen werden in der Mehrzahl an der Grenze abgewiesen, nur 28 von ihnen erreichen Den Haag. Von den 180 britischen Delegierten erhalten nur 25 Frauen ein Visum – und selbst diese können die Reise nicht antreten, da der Ärmelkanal für die zivile Schifffahrt gesperrt ist.
Die wichtigsten Ergebnisse des Frauenkongresses nach intensiver Diskussionen:
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Delegationen werden zu den einzelnen europäischen Regierungen entsandt, um die in Den Haag gefaßten Beschlüsse zu überreichen und Friedensverhandlungen zu forcieren.
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Zur Weiterführung der internationalen Arbeit gründen die teilnehmenden Frauen das Internationale Komitee für dauernden Frieden, mit Sitz in Den Haag.
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Einzelne Länder sollen veranlaßt werden, Nationale Frauenausschüsse für dauernden Frieden zu gründen.
IFFF – Deutsche Sektion 1915 – 1933
In Deutschland sind es Frauen der radikal-bürgerlichen Frauenbewegung, hauptsächlich vertreten durch den Frauenstimmrechtsbund, die von deutscher Seite aus den Friedenskongreß unterstützen, ihn mit vorbereiten und durchführen. Unter den 28 Frauen, die nach Den Haag gelangen, sind Anita Augspurg, Constanze Hallgarten, Lida Gustava Heymann, Auguste Kirchhoff, Elisabeth Rotten, Emmy von Schlumberger und Margarethe Selenka. Damit werden sie erheblichen Schwierigkeiten seitens der Militärbehörden ausgesetzt und von nationalistischer Seite heftig angegriffen. Immer mehr steht ihre Arbeit, stehen ihre Forderungen im Gegensatz zu der gemäßigten Mehrheit der bürgerlichen Frauenbewegung. Im gemeinsamen Dachverband, dem Bund Deutscher Frauen (BDF), werden die Differenzen deutlicher, als dieser ungeachtet seines Grundsatzes politischer Neutralität zunehmend die nationalistische Politik des Wilhelminischen Reiches unterstützt.
Nach Kriegsende ist es schließlich 1919 möglich, den in 1915 Den Haag gefaßten Beschluß zu realisieren und einen internationalen Kongreß nach Zürich einzuberufen. Um dem Status einer ständigen Institution zu entsprechen, beschließen die Frauen auf Antrag von Anita Augspurg, das Internationale Komitee für dauernden Frieden umzubenennen in Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF); ihr Sitz ist fortan in Genf, dort, wo auch der eben gegründete Völkerbund tagt.
Trotz der Anfeindungen in Deutschland von nationalistischer Seite setzt sich der Gedanke friedlicher Lösungen von internationalen Konflikten, die Forderung nach voller politischer Gleichberechtigung von Frauen und der Schaffung einer neuen sozialen und wirtschaftlichen Ordnung durch: In den Städten Deutschlands entstehen bald überall regionale Arbeitsgruppen: Bereits 1919 gibt es 42 Gruppen, 1928 sind es 80 Gruppen mit mehr als 2000 Mitgliedern. Verbindendes Organ unter den Gruppen ist die von Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg herausgegebene Monatsschrift Die Frau im Staat; das erste Heft erscheint im Januar 1919, das letzte im März 1933.
4.-6. Januar 1929: Internationaler Kongreß der IFFF in Frankfurt am Main zum Thema „Die modernen Kriegsmethoden und der Schutz der Zivilbevölkerung“. Zum Ehrenkomitee gehören Albert Einstein, Romain Rolland, Bertrand Russel, Käthe Kolliwtz und Selma Lagerlöff u.a.; als ReferentInnen sind zahlreiche WissenschaftlerInnen geladen, unter ihnen auch die Berner Chemie-Professorin Gertrud Woker, Mitglied der Schweizer IFFF. Ihre Forderungen gehen ein in die Planung einer internationalen Abrüstungskonferenz, die 1932 in Genf einberufen wird. Ihr Einsatz für soziale und politische Gleichberechtigung bestimmt – immer neben der Verfolgung friedenspolitischer Ziele und Abbau des Militarismus – das Wirken der IFFF seit ihrer Gründung.
Doch bald nach Ende des Ersten Weltkrieges sind in Deutschland die Zeichen erneut auf Militarisierung und steigende Kriegsproduktion gesetzt. Das Wettrüsten geht weiter. Die IFFF versucht mit Flugblättern und öffentlichen Kundgebungen und Seminaren die Bevölkerung aufzuklären, sie wachzurütteln. Doch die Frauen der IFFF selbst geraten zunehmend unter Druck. Von wachsendem Faschismus bedroht, entschließen sich einige aktive Mitstreiterinnen 1933 zur Emigration (wie auch Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg, Frida Perlen, Constanze Hallgarten u.a.), andere bleiben in Deutschland (u.a. Auguste Kirchhoff), gehen in den Untergrund, werden verfolgt, verhaftet (so u.a. Magda Hoppstock-Huth); Wohnungen werden durchsucht, Büros geschlossen, Unterlagen vernichtet, der Besitz konfisziert. Die deutsche Sektion der IFFF zählt zu den ersten Organisationen, die ‚aufgelöst‘ werden. Das Kapitel der Frauenfriedensbewegung soll ausgemerzt werden. Doch noch kurz zuvor, im Januar 1933 fand im Münchner Hofbräukeller die letzte Friedenskundgebung der IFFF statt. Bis auf den letzten Platz war der Saal gefüllt. 800 – 1 000 ZuhörerInnen lassen sich von dem Versuch der SA, die Versammlung mit Stinkbomben zu sprengen, nicht beirren. „Hitler bedeutet Krieg, schützt Eure Kinder, laßt Euch nicht von diesen Phrasen bluffen; hinter diesen Phrasen steht die brutalste Gewaltpolitik, die ihr alle am Leib zu spüren bekommt. Gebt keine Stimme für Hitler, der der Handlanger Eurer Ausbeuter, Euer Feind ist! Schließt Euch zusammen, organisiert Euch für Frieden und Freiheit!“
Wenige Tage später ist die Mahnung Wirklichkeit geworden.
Wiederaufbau der Deutschen Sektion nach dem Zweiten Weltkrieg
Im ersten Aufruf der IFFF-Frauen, die den Faschismus überlebt haben, heißt es „… den Einfluß des noch bestehenden Faschismus auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens auszumerzen und das Denken zu befreien von dem Ungeist völkischer Überheblichkeit und des Rassenhasses … Wir wollen beitragen zu der Erkenntnis, daß nur gegenseitige Achtung und gegenseitiges Vertrauen die Kräfte sind, auf deren Grundlage das Zusammenleben der Menschen und Völker neu gestaltet werden kann …“. Wesentlichen Anteil an der Reorganisation der deutschen Sektion hat Magda Hoppstock-Huth, Mitglied der IFFF seit 1916. Sie wirkt von Hamburg aus, wo sie 1946 in das Hamburger Parlament berufen wird. Unter größten Mühen reist sie, die die KZ-Haft überlebt hat, ihrem Todesurteil entgehen konnte, durch das Land und innerhalb kurzer Zeit nach Zulassung der IFFF in den westlichen Sektoren entstehen Gruppen in vielen Städten.
Trotz des Schwurs Nie wieder Krieg! sind es bald wieder alte Strukturen, gegen die sich die Arbeit der Frauen- und Friedensorganisationen richten: Remilitari-sierung und Aufstellung einer Bundesarmee: Die Wiederbewaffnung der BRD erscheint allen als ein Hohn.
Im sowjetisch verwalteten Sektor und in der späteren DDR kommt es zu keinen Neugründungen der IFFF: Ihre Aufgaben – so wird argumentiert – wird vom jüngst gegründeten Dachverband der Demokratischen Frauenföderation wahrgenommen. Wenn möglich, arbeiten beide Organisationen in der Verfolgung ihrer Ziele zusammen.
Antikommunismus in der 1950er Jahren und Kalter Krieg
Die antikommunistischen Strömungen in Deutschland der fünfziger Jahre wendet sich in erster Linie gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), deren Jugendverband FDJ und den Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD): Die Organisationen werden verboten, die führenden Frauen und Männer werden verfolgt und strafrechtlich belangt. Doch der Antikommunismus richtet sich gegen die gesamte Friedensbewegung. 1959, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, wird ein Komitee Rettet die Freiheit unter der Leitung des Christ-demokraten Rainer Barzel gegründet; 1960 erscheint das sogenannte Rotbuch mit einer langen Liste von Hunderten von Namen und Organisationen, die als ‚kommunistisch gesteuert‘ erklärt werden – es wird der Presse und allen Parteien zugeschickt. Aufgelistet findet sich auch die IFFF, eine kommunistische Tarnorganisation! Dagegen reicht die deutsche Sektion Klage ein – und sie gewinnt den Prozeß. Doch der Schaden in der deutschen Sektion ist groß: Viele der engagierten Frauen springen ab und finden keinen Mut, weiter für die IFFF zu arbeiten. Es bleiben die Gruppen in West-Berlin und Hamburg bestehen, in Bremen, München und Duisburg.
Die 1960er Jahre
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Ostermarschbewegung
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Atomwaffenvertrag
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Ablehnung der Notstandsgesetze
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Proteste gegen den Vietnamkrieg
Die 1970er und 1980er Jahre
Im veränderten Klima der späten 1960er Jahre – weg von der Hochrüstung, hin zur Entspannungspolitik – kommen 1970 unter der SPD gegen den massiven Widerstand der CDU/CSU die Ostverträge mit der Sowjetunion und Polen sowie 1971 das Viermächteabkommen zustande. Diese Entwicklung liegt ganz im Interesse der IFFF, da es ihr von Beginn an ein grundlegendes Ziel ist, die Beziehungen zur DDR und den anderen sozialistischen Staaten zu normalisieren. Weiter geht der Protest gegen den Vietnamkrieg. In Deutschland richtet sich die IFFF gegen das Berufsverbot, und ihre Forderungen bestehen fast unverändert nach der vollen sozialen und politischen Gleichberechtigung der Frauen; im Jahr der Frau, 1975, konzentrierten sich viele der Aktionen auf dieses Anliegen mit allen seinen Facetten.
Ihre stärksten Aktivitäten entwickelt die IFFF zusammen mit zahlreichen anderen Frauen- und Friedensorganisationen gegen den NATO-Nachrüstungs-beschluss vom Dezember 1979. Und nicht ganz unabhängig davon zu sehen ist die von der IFFF mitgetragene Kampagne „Frauen in die Bundeswehr – Wir sagen Nein!“.
Ein großer Erfolg der IFFF ist die im internationalen Rahmen getragene STAR-Kampagne Stop the Arms Race, um gegen die Stationierung neuer Waffen und Waffensysteme zu protestieren. Eindrucksvoller Höhepunkt dieser Kampagne ist eine große Demonstration von Zehntausenden von Frauen aus Westeuropa und den USA in Brüssel, um im NATO-Hauptquartier die gesammelten Unterschriften zu überreichen.
Quellen und Literaturhinweise
- Margit Twellmann (Hrsg.), Erlebtes – Erschautes: Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden, von Lida Gustava Heymann in Zusammenarbeit mit Anita Augspurg (Heymann-Memoiren), Verlag Anton Hain, Meisenheim am Glan 1977
- Gisela Brinkler-Gabler (Hrsg.), Frauen gegen den Krieg, Fischer TB Verlag, Frankfurt 1980
- Gerit von Leitner, Wollen wir unsere Hände in Unschuld waschen? Gertrud Woker (1878-1968), Chemikerin – und Internationale Frauenliga 1915-1968, Weidler Buchverlag Berlin, 1998
- Helmut Donat, Karl Holl (Hrsg.), Hermes Handlexikon, Die Friedensbewegung, econ tb verlag Düsseldorf
- Archivunterlagen der IFFF – Deutsche Sektion
- Helga Meyer, Women’s Campaign against West German Rearmament 1949-1955, Doctorate Thesis at the University of Colorado, USA 1989
- Gertrude Bussey, Margaret Tims, Pioneers für Peace – Women’s International League für Peace and Freedm 1915-1965, Alden Press, Oxford 1980
- Sybille Krafft, Zwischen den Fronten. Münchner Frauen in Krieg und Frieden 1900-1950, Buchendorfer Verlag, München 1995
- Dorlies Pollmann/Edith Laudowicz, Weil ich das Leben liebe … Aus dem Leben engagierter Frauen, Pahl-Rugenstein, Köln 1981
- Hannelore Cyrus/Verena Steinecke, Ein Weib wie wir?! Auguste Kirchhoff (1867-1940), Verlag in der Sonnenstraße, Bremen 1989
- Elisabeth Brändle-Zeile, Seit 90 Jahren: Frauen für den Frieden, Windhueter Druck- und Verlagskollektiv, Schorndorf 1983
- Anna Dünnebier, Ursula Scheu, Die Rebellion ist ein Frau. Anita Augspurg und Lida G. Heymann – Das schillerndste Paar der Frauenbewegung, Sphinx Verlag, Kreuzlingen/München 2002
- Christiane Henke, Anita Augspurg, rororo TB 2000
Kontakt: Anne Ley-Schalles,
E-Mail: ley-schalles@wilpf.de
Ein Teil der Altakten der IFFF ist in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenforschung in Kassel zu finden: https://www.addf-kassel.de/