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Appell zur De-Eskalation des Konflikts in der Ukraine

Alle europäischen Regierungen, die OSZE und die Europäische Union müssen auf Dialog und Frieden setzen sowie Frauenorganisationen und Netzwerke von Friedensstifter*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen in der Region unterstützen.

Januar 2022

Wir, die europäischen Sektionen und Gruppen der WILPF, der ältesten weltweiten Frauenfriedensorganisation, sind gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen von Friedensaktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen in der OSZE-Region sehr besorgt über die unzureichende Rolle Europas bei der Förderung einer friedlichen, diplomatischen Lösung des anhaltenden bewaffneten Konflikts in der Ukraine, während es eine zunehmend militarisierte Entwicklung fördert.

Als Frauenorganisationen und Netzwerke arbeiten wir in zahlreichen Projekten mit Aktivist*innen über „trennende“ Linien hinweg zusammen, in der Überzeugung, dass Vertrauen und echte Sicherheit nur auf einer langfristigen positiven und gemeinsamen Vision für Frieden, Gleichheit und Gerechtigkeit in der Praxis aufgebaut werden können. Wir sind auf lokaler, regionaler und globaler Ebene miteinander verbunden, und wir sind solidarisch. 

Wir sind nicht bereit, Krieg, ständige Drohungen mit militärischen Interventionen und rhetorischer bzw. realer Aufrüstung als Antwort auf Bedrohungen als „Normalität“ hinzunehmen, da dies die Instabilität in einer ohnehin schon sehr fragilen (wirtschaftlichen und psychosozialen) Situation – besonders für Frauen – noch verstärkt. „Die Logik des Krieges darf unser Sein nicht besetzen“ (Kateryna Mishchenko)!  Aus der historischen Ermutigung der WILPF zum Widerstand gegen den Krieg und aus unseren Erfahrungen in der Friedensarbeit heraus erheben wir unsere Stimme gegen diese zerstörerische Logik.

Die Zusammenarbeit mit Frauen in der ukrainischen Konfliktregion zeigt, wie sehr Frauen von den (in-)direkten Folgen des 2014 begonnenen Krieges betroffen sind. Tausende Tote und zivile Verwundete sind seither zu beklagen, und die (wirtschaftliche) Verwundbarkeit der Frauen im Alltag und der Kampf ums Überleben schaffen neue Ängste und Unsicherheiten. Auf der anderen Seite sind Frauen wirkmächtige Akteurinnen des Wandels und ihr spezifischer Beitrag zu nachhaltigem Frieden und Vertrauensbildung muss ständig unterstützt und davon berichtet werden.

Wir veröffentlichen diese offene Erklärung, um die Regierungen in Europa, das EU-Parlament und die Europäische Kommission, die OSZE (SG, CiO, GU) aufzufordern, sofortige Schritte zur Deeskalation und Entmilitarisierung des Konflikts zu unternehmen und sich diplomatisch an langfristigen Friedens- und Sicherheitsgesprächen mit allen beteiligten Akteuren, einschließlich der Nachbarländer und -Regionen, zu beteiligen. Abschreckung, zunehmende militärische Präsenz und autoritäre Regierungsformen sind nicht geeignet, Konflikte zu lösen, sondern riskieren neue Spaltungen in Europa und  schwächen den so wichtigen europäischen Zusammenhalt.

Wir unterstützen nachdrücklich den wachsenden politischen Willen der Staaten, sich offen auf eine feministische Außenpolitik auf der Grundlage der Umsetzung der WPS-Agenda zu beziehen.  Wir sind gespannt auf konkrete  politische Antworten, unter denen wir verstehen: Abrüstung und De-militarisierung, eine Neudefinition von Sicherheit – verstanden als komplexe menschliche/echte Sicherheit –Widerstand gegen Autoritarismus und für demokratische Rechte – und nicht zuletzt die gleichberechtigte und sinnvolle Beteiligung von Frauen auf allen Verhandlungs- und Entscheidungsebenen im Sinne der Umsetzung der UNSCR1325 auf allen Ebenen.

UNSERE AUFRUFE AN DIE REGIERUNGEN EUROPAS

Um den Konflikt zu deeskalieren und Frieden und Sicherheit in der Ukraine und in Osteuropa zu gewährleisten, fordern wir von den Regierungen:

  • die Verpflichtungen aus der UN-Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit umzusetzen, die eine substanzielle, bedeutsame Rolle für die Beteiligung von Frauen an den Verhandlungen und die Führungsrolle von Frauen bei der Konfliktprävention vorsehen. Sicherzustellen, dass Frauen von allen Seiten des Konflikts eingeladen werden, um eine diplomatische Lösung des Konflikts und ein Abkommen für einen dauerhaften Frieden zu vermitteln.
  • Langfristige Unterstützung für zivilgesellschaftliche Gruppen, insbesondere Frauengruppen zu leisten, die in kreativen, vertrauensbildenden Initiativen arbeiten – teilweise grenzüberschreitend. Dazu braucht es kontinuierliche und substanzielle Unterstützung von Advocacy und Training in Mediation und friedlicher Konfliktlösung.
  • Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, um ihnen Zugang zu institutionellen Verhandlungsmandaten zu verschaffen, damit sie die Verbindung von Grassroot Arbeit auch in den institutionellen Kontext einspeisen können. Alle Friedenslösungen verlangen dimensionsübergreifende und multilaterale Ansätze,  die Sicherheit in Verbindung mit Menschenrechten und den Herausforderungen von Wirtschaft und Ökologie setzen.
  • Investitionen in die Pflegeinfrastruktur und den Care-Sektor.  Wie die Corona-Pandemie überdeutlich gezeigt hat: Es muss stattdessen erheblich in die Gesundheitsversorgung, die soziale Infrastruktur und für Klimagerechtigkeit im Sinne einer feministischen und nachhaltigen Wirtschaft investiert werden. Dafür müssen Gelder aus der Rüstung und militärischen Infrastruktur und umgeschichtet werden.
  • Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) muss als wesentliche Brücke zwischen Ost und West von politischen Entscheider*innen im Sinne des Helsinkiprozesses wahrgenommen und genutzt werden. Da die OSZE strukturell die drei Dimensionen (Sicherheit, menschliche Dimension und Wirtschaft/Umwelt) verbindet, gibt es aus einem intersektionalen inklusiven Ansatz heraus Chancen, Mechanismen und Strukturen der OSZE – wie z.B. auch wie das „Netzwerk der Friedensstifterinnen und Mediatorinnen“ – zu nutzen und zu stärken.
  • Wir unterstützen die Abschaffung der obligatorischen militärischen Registrierung von Frauen in der Ukraine.
  • Wir unterstützen die Stärkung der Vereinten Nationen zur Deeskalation des Konflikts mit Russland über die Ukraine durch die Nutzung aller Formen der Diplomatie und Verhandlungen auf der Grundlage einer gemeinsamen und umfassenden Sicherheitsstrategie. Als globale Frauenfriedensorganisation arbeiten wir diesbezüglich mit unseren Sektionen und Partner*innen auf der ganzen Welt zusammen.

Zum Schluss wollen wir dieIdee der Friedensnobelpreisträger aufgreifen: „Wir haben einen einfachen Vorschlag für die Menschheit: Die Regierungen aller UN-Mitgliedsstaaten sollten eine gemeinsame Reduzierung ihrer Militärausgaben um 2 % pro Jahr für fünf Jahre aushandeln“.

Unterzeichnet von:
WILPF Deutschland, Ukraine, Norwegen, Schweden, Finnland, Niederlande, Dänemark, Spanien, UK, Italien, Schweiz

Public Alternative/Ukraine, Demokratie heute Armenien, Birduino Kirgisistan, PeaceWomen Across the Globe

Kontakt:
Heidi Meinzolt, Mitglied des Internationalen Vorstands der WILPF für Europa und Koordinatorin der Arbeitsgruppe in der Civic solidarity Platform/CSP der OSZE; heidi.meinzolt@wilpf.org

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